Vom Bauhaus, der Neuen Typografie und der Stuttgarter Schule.
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Ein Rückblick auf die Vergangenheit Stuttgarts im Bereich der visuellen Gestaltung
Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte in Deutschland eine Phase des prunkvollen Erschaffens. Künstlerische Tätigkeiten hatten sich zu dieser Zeit selten auf eine Reduktion konzentriert. So war das Leben der Menschen von einer Nachahmung vergangener Kulturepochen geprägt. Beispielsweise galt es beim Bezug einer Wohnung oder eines Hauses zu entscheiden, nach welcher Geschichtsepoche das eigene Leben geführt werden sollte. Demnach wurde dann die gesamte Ausstattung gewählt.
Architektonische Werke waren von Baustilen vergangener Jahrhunderte inspiriert, die auf Grund früherer technischer Einschränkungen notwendige Bauelemente enthielten, welche nun aber überflüssig geworden waren; Säulen und Rundbögen zur Stabilisierung, aber darüber hinaus auch Verzierungen. Zwar wurden mit neuen Materialien wie Glas und Stahl bereits erste, rein funktionelle Fabrikgebäude gebaut, allerdings war bis dahin nie versucht worden, dieses Bauen auch im privaten Wohnen zu etablieren. Gegen Ende der 1920er-Jahre ging diese Phase zu Ende und eine Gegenbewegung wurde erforderlich.
Zu dieser Zeit entstand der Gedanke, Schmuck und andere nicht-funktionelle Elemente aufzugeben. Gleichzeitig war eine Wohnungsnot präsent, welche durch die schlimme wirtschaftliche Lage Deutschlands entstanden war, und die ein neues Bauen erforderlich machte. Nach wirtschaftlichen Überlegungen entstanden experimentelle, streng konstruierte Wohnbauten, die eben jenen Kriterien entsprechen sollten: die Wohnungsnot zu lösen und gleichzeitig einfach wie kostengünstig realisierbar zu sein. Dies gelang auch, bedenkt man, dass die Stuttgarter Weißenhofsiedlung mit einundzwanzig Häusern in nur einundzwanzig Wochen gebaut wurde. Grundgedanke war, durch streng konstruierte Planung und sehr reduzierte Gestaltung des Wohnraums, viel Leben auf wenig Fläche unterzubringen – wozu auch das Weglassen kulturellen Ballastes gehörte. Enge, zweckmäßige Gänge und Flurbereiche innerhalb der Häuser, zu welchen der Architekt Le Corbusier von der Raumaufteilung in Zugwagons und auf Schiffen inspiriert worden war, zeugen davon.
Das streng Konstruktive hat dabei in jener Zeit nicht nur Einzug in die Architektur gehalten, sondern zieht sich durch den gesamten Bereich der Bildenden Künste. Im grafischen Gewerbe kamen Schriften wie beispielsweise die 1927 von Paul Renner entwickelte Futura auf, welche nicht nur durch das Weglassen der Serifen dem reduzierenden Gedanken entsprach, sondern auch durch und durch nach einem geometrischen Raster konstruiert war. Sie wird deswegen auch heute noch konstruktiven Themen zugeordnet, etwa im Bereich der Architektur. Interessanterweise stieß Paul Renner damals an Grenzen und musste erkennen, dass eine allzu konstruktive Schrift nicht praxistauglich war. Er korrigierte manche Bereiche seiner Schrift, beispielsweise die Höhe der Zwischenstriche, wie sie bei A und H vorkommen. Auch Nachfolger der Futura, geometrische Schriften wie Avenir oder Avant Garde, entfernten sich vom konsequent Konstruktiven und näherten sich damit wieder ein wenig dem entgegengesetzten Schriftcharakter, welchen man als humanistisch bezeichnet.
Diese Entwicklung des schmuck- und schnörkellosen Gestaltens, rein auf die Funktionalität beschränkt und ohne Zier, war eine Revolution. Sie war Provokation und hatte Gegner. In Stuttgart entstand als Gegenentwurf zur Weißenhofsiedlung die Kochenhofsiedlung, bei der bewusst klassische Elemente verwendet und auf provozierend gestalterische Redukion verzichtet wurde. Die eher konservative Stuttgarter Schule. Die Meisterhäuser in Dessau wie auch das Bauhaus selbst waren einige Jahre später mit aufkommendem Nationalsozialismus als entartet bezeichnet worden.
Es sollte fast einhundert Jahre dauern, bis die Architektur wieder so weit war, den damaligen Gedanken der formgebenden Funktionalität wieder in solcher Konsequenz umzusetzen. Ein wenig kann man die damals empfundene Provokation aber auch heute noch nachvollziehen, denn beispielsweise die Meisterhäuser in Dessau wirken inmitten der klassisch gebauten Häuser der Umgebung tatsächlich wie von der Kultur unberührte Fremdkörper.
Neben dem bereits erwähnten architektonischen Um- und Neudenken, zeigte sich diese Richtung des rein Funktionellen natürlich auch in anderen Künsten, wie der visuellen Gestaltung, was dann als Neue Typografie bezeichnet wurde, der eben auch Paul Renner angehörte.
Der gegen Ende der 1950er-Jahre aufkommende Fotosatz befreite die Gestaltung der Druckprodukte endgültig von deren bisherigen technischen Grenzen, welche der Bleisatz aufzeigte. Waren Buchstaben, Flächen und Linien bisher überwiegend feste Formen – im Normalfall eben aus einer Bleilegierung, seltener aus gehärteten Kunstoffplatten – konnten sie nun im Fotosatz beliebig verformt, skaliert, gespiegelt und verändert werden. Die Schrift war frei. Gestaltung war nicht länger durch Technik eingeschränkt und dem Weglassen historisch-technischer Aspekte stand nichts mehr im Wege.
Eine wichtige Persönlichkeit zu dieser Zeit des Umbruchs war Friedrich Hermann Ernst Schneidler, der an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (ABK) lehrte. Schneidlers Name ist auch heute noch bekannt, nicht zuletzt durch seine Schriften wie die Stempel-Schneidler, Zentenar-Fraktur oder Legende. Er trotzte den damals präsenten Einflüssen des Bauhauses, der Neuen Typografie, und war ein konservativer Gestalter, selbst dort, wo er modern sein wollte. Schneidler gilt als einer der Mitbegründer und Vertreter der Stuttgarter Schule im Bereich der visuellen Gestaltung.
Zu seinen damaligen Schülern gehörten viele bekannte Persönlichkeiten wie Helmut Andreas Paul »HAP« Grieshaber, Georg Trump und auch Carl Keidel jr. Letzterer war Teil einer langen Familiendynastie, welche bereits seit dem 19. Jahrhundert eine angesehene Offizin in Stuttgart führte; die 1808 von Gottlieb Hasselbrink gegründete Offizin Scheufele.
Der Weg des jungen Carl Keidel war daher vorbestimmt, und doch nahm er einen etwas anderen Lauf als man hätte vorhersagen können: Carl Keidel jr. bewies ein solches Engagement und Talent auf dem Gebiet der Typografie, dass er zu seinem 65. Lebensjahr zum Professor ehrenhalber ernannt wurde. Seine Gestaltung war weit bekannt, er hatte unzählige Preise gewinnen können, und die Nennung seines Namens in einem gedruckten Werk wirkte wie eine Auszeichnung. Die Offizin musste seinerzeit nicht in Werbung investieren, denn Keidels Name war weithin bekannt.
Die gestalterische Art Carl Keidels entsprach der konservativen Stuttgarter Schule, welche er von Schneidler gelernt hatte, die er aber mit manchen Einflüssen des Bauhauses, der Neuen Typografie, kombinieren konnte. Der Krieg, mit seiner folgenden Armut, hatte Keidel genug Spielraum gegeben, neue Gestaltung zu erproben, nicht zuletzt deshalb, weil die verschiedensten Wege gegangen werden mussten, um Geld verdienen zu können. Keidels Geschick bestand darin, sowohl konservative als auch moderne Druck-Erzeugnisse gestalten zu können.
Als nun Peter Keidel, einer der beiden Söhne des Carl Keidel jr., die Firmenleitung übernahm, hatte er sich die Art der Stuttgarter Schule längst zu eigen gemacht. Er hatte ebenfalls an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart studiert, zusammen mit Persönlichkeiten wie Kurt Weidemann und Hans Peter Willberg. Der Professor war Walter Brudi, welcher selbst einst Schüler Ernst Schneidlers war. Somit schließt sich der Kreis bekannter Lehrer und deren Schüler. Peter Keidel führte das Werk seines Vaters fort, blieb aber zeitlebens bei der konservativen Gestaltung der Stuttgarter Schule. Einflüsse der Neuen Typografie waren bei ihm nicht mehr erkennbar. Über Jahrzehnte konnte er mit seiner Buchgestaltung Wettbewerbe für sich entscheiden, oft sogar mit mehrfachem Gewinn.
Diese Ausrichtung und auch Verflechtung der Offizin mit der Stuttgarter Schule prägt die Firma bis heute, prägt ihre Auszubildenden und die Art und Weise wie sie sich gibt – allerdings ohne die Kombination mit der provokativen Weise der bedingungslos funktionellen Gestaltung, welche Carl Keidel jr. seinerzeit durch und mit der Neuen Typografie eingebracht hatte.
Dies mag als Beispiel für das Fortleben der Stuttgarter Schule im gestalterischen Sinne dienen. Es wäre zu wünschen, dass dieses Profil der Stuttgarter Designer zukünftig wieder gestärkt wird und sich damals beteiligte Institutionen wie der Graphische Klub Stuttgart des Themas annehmen würden.
Der Vorliegende Artikel entstammt einem Büchlein, welches Tobias zur Verabschiedung zweier Arbeitskollegen angefertigt hatte.
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