Die Rückkehr der Mediävalziffern.
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Zur Historie
Im Internet waren Schriften lange Zeit Mangelware. Aus technischer Sicht war die Einbettung von Schrift nur sehr umständlich realisierbar; am Ende musste beim Gestalten einer Website aus den wenigen Standardschriften gewählt werden, die auf nahezu jedem System zur Verfügung stehen. Dazu gehören unter anderem Arial, Georgia, Times und Verdana.
Mediävalziffern, die in ihrem Charakter Kleinbuchstaben entsprechen und damit zur Verbesserung der Lesbarkeit und der Optik von Mengentext beitragen, kamen hier lediglich in der Standardschrift Georgia vor. Da die Georgia allerdings eine Serifenschrift ist, wurde von ihrer Verwendung im Internet eher abgeraten. Glücklicherweise stellen inzwischen moderne und hochauflösende Bildschirme Serifenschriften sehr wohl präzise und gut lesbar dar – früher war dies nicht möglich. Dazu trägt auch die technische Verbesserung des Hinting, speziell des Subpixel-Renderings bei; eine Methode der Kantenglättung, die ab den Betriebssystemen Mac OS X und Windows Vista von Haus aus aktiviert war. (Interessanterweise verzichten Geräte mit flexiblem Bildschirmformat wie beispielsweise das Apple iPad auf Subpixelrendering, erreichen aber dafür durch ihre hohe Auflösung eine ebenso gute Qualität der Schriftdarstellung)
Auch die Möglichkeiten der Code- und Auszeichnungssprachen schritt voran, sodass die Einbindung unterschiedlicher systemfremder Schriften bald sehr einfach zu realisieren war. Gleichzeitig begannen auch diverse Unternehmen, für die Darstellung an Bildschirmen optimierte Schriften zu verschiedenen Konditionen zur Verfügung zu stellen (Beispielsweise die Google Fonts Lib oder Adobe Fonts)
So ist inzwischen durch die genannten drei Faktoren – technische Verbesserungen in der Darstellung von Schriften, einfache Möglichkeiten verschiedene Schriften einzubinden (via Cascading Style Sheets) und die Verfügbarkeit vieler verschiedener Schriften – endlich eine virtuelle Typografie möglich, die der herkömmlichen in gedruckten Medien um nichts nachsteht.
Auf Grund dieser Entwicklung und mit zunehmender Anzahl verfügbarer Bildschirmschriften erlangten auch Mediävalziffern wieder an Bedeutung. Bekannte Schriften wie die Yanone Kaffeesatz oder auch die auf dieser Website verwendete Playfair Display setzen Mediävalziffern ein und befinden sich inzwischen auf hunderten von Websites. Damit schließt sich langsam die Lücke technischer Unvollkommenheit und schränkt den Gestalter nicht länger ein.
Die Frage nach der Wahrnehmung solcher typografischer Details mag sicher ein Streitpunkt sein. Von der Lazydogs Type Foundry wurde mir vor einiger Zeit berichtete, sie hätten aus einer ihrer Schriften Versalziffern anstatt Mediävalziffern zur Standardbelegung machen müssen, da der Auftraggeber die »tanzenden« Ziffern irritierend empfand. Ähnliche Erfahrungen habe ich auch schon gemacht.
Allerdings lässt sich durchaus auch gerade in viel genutzten Portalen wie Facebook feststellen, dass auch von Laien der Unterschied von Versal- und Mediävalziffern sehr wohl wahrgenommen wird – wenn auch nur unbewusst. Es finden sich dort häufig Zahlen, in denen die (in der verwendeten Lucida Grande vorkommende versale) Null durch ein gemeines o ersetzt wurde. Vielleicht auch um eine Mediäval-Null zu erzeugen. (Beispiel: 1oo Euro)
Es lohnt sich also, auch im Internet mit Schrift sehr bewusst zu arbeiten und sich damit auseinanderzusetzen. Die aufkommende Vielfalt verfügbarer Schriften lässt das Typografenherz höher schlagen und bringt die Gestaltung von Websites auf ein neues Niveau, das dem von Printprodukten endlich ebenbürtig ist.
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Nachtrag zur Schrift Arial
Da es sehr viele Anfragen zur Arial gibt, hier nun noch ein paar Hinweise.
Zuerst: Die Arial verfügt über keine Mediävalziffern. Die von Microsoft entwickelte Schrift existiert in fünf (bzw. 10 inklusive Arial Narrow) Schriftschnitten, die erstmals in Windows 3.1 verwendet wurden. Bis 1998 entwickelt Microsoft die Schrift weiter und veröffentlichte sie in der letzten Version 2.55 mit Windows 95. Die Schrift entspricht in ihrem Zeichenvorrat dem damaligen technischen Stand und bietet deshalb nur sehr wenige Möglichkeiten zur typografischen Verwendung. Auch entsprechende Opentype-Funktionen sind leider nicht enthalten.
Wichtig zu wissen ist aber, dass Arial der Helvetica sehr ähnlich sieht. Obwohl auch diese über keine Opentype-Funktionen verfügt und leider keinen größeren Zeichenvorrat hat, existiert sie in deutlich mehr Schriftschnitten, die von Ultra Light bis Black reichen und damit mehr Möglichkeiten zur Gestaltung bieten.
Da die Helvetica allerdings nach ihrer Erschaffung in den 1960er-Jahren zu einer Art Superstar der Schriften wurde, ist sie durch die intensive Verwendung bis heute inzwischen deutlich »overused«. Auch der etwas gesichtslose Charakter der Schrift entspricht nicht mehr dem heutigen Zeitgeist, sodass prinzipiell überlegt werden sollte, ob nicht eher eine modernere Serifenlose mit internationalem Zeichenvorrat und Opentype-Funktionen passender und praktikabler wäre.
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